Illusion des freien Willens

3.4.2025

Der freie Wille scheint prinzipiell Gottes ehernes Gesetz zu sein, woran sich sogar die Bösewichte unserer Welt halten sollten. Was ja erst einen unglaublichen Nährboden für Lug, Betrug und Manipulation bereitet. Ginge alles einfach über den Zwang, müssten sich etwaige Kräfte gar nicht erst bemühen, uns den Himmel auf Erden zu versprechen, nur um es nach der freiwilligen Einwilligung unsererseits zu brechen.

 

Doch stimmt das wirklich? Kann man noch von einem freien Willen sprechen, wenn man etwas unter Druck einwilligt oder aus einer Angst heraus? Irgendwie schon, schließlich hatte man ja die Wahl – außerdem würde das Sprichwort „die Qual der Wahl“ schlicht keinen Sinn mehr ergeben. Sprich: Die Wahl zu haben, heißt noch lange nicht, dass sie einfach sein muss.

 

Zudem wäre nicht nur das Sprichwort für die Tonne, sondern auch der Mut – oder eben die Dummheit. Die Frage, ob etwas dumm oder mutig ist, könnte also in gewisser Weise ein Beweis für den freien Willen sein – so zumindest könnte man denken. Aber auch stelle ich erneut die Frage: Ist das so?

 

Oder liegt die Qual der Wahl eigentlich viel mehr darin vergraben, etwas zu wissen oder nicht zu wissen? Ob ich mich statt für den mutigen Weg lieber für den dummen entscheide, liegt doch nicht darin gegründet, dass ich gerne dumm bin, sondern darin, dass ich im Moment der Wahl die Folgen meiner Wahl nicht abschätzen kann.

 

So gesehen könnte man doch auf den Schluss kommen: Es geht nicht um die Freiheit zu wählen, sondern darum, sich der Folgen bewusst zu werden. Spannend und gleichermaßen paradox wird es jedoch, wenn ich die Folgen sehr wohl kenn[e], denn genau in dem Moment, in dem ich doch am freisten entscheiden können müsste – da ich ja die Konsequenzen kenne –, verliere ich die Freiheit sozusagen im gleichen Maße. Da die Konsequenz einer Entscheidung mir die Wahl mehr oder minder aus der Hand nimmt.

 

Oder anders gesagt: Mit Kenntnis der Folgen steigt automatisch die Verantwortung. Was uns unweigerlich zu der Frage führt, ob es Freiheit, wie wir sie landläufig verstehen, überhaupt geben kann. Angenommen, wir wüssten immer die beste Wahl einer Entscheidung – würde das nicht nur die Freiheit und die Möglichkeit zur Entwicklung ad absurdum führen, sondern auch Fehler? Es gäbe sie schlicht nicht mehr.

 

Zu denken, wir wären frei in Bezug auf die Dinge, wo wir denken, wir wären frei, stellt sich also in den meisten Fällen als Illusion heraus. Die Entscheidung wird entweder durch irgendwelche Außeneinwirkungen getroffen, durch simple Unwissenheit oder innere Befangenheit – in keinem dieser Fälle kann aber tatsächlich von echter Freiheit gesprochen werden. Zumindest nicht, solange wir die sogenannte Wahlfreiheit auf den Inhalt der Wahl beziehen.

 

Also worin liegt nun die Freiheit? In der Entscheidung, sich bewusst zu werden. Ich kann vielleicht nicht wirklich frei entscheiden, ob ich dieses oder jenes wähle, aber ich kann frei entscheiden, ob ich etwas daraus lerne. Was ja bekannterweise Fehler erst zu Fehlern macht – oder eben nicht. Denn auch hierfür gibt es ein weises Sprichwort: Ein Fehler ist erst ein Fehler, wenn ich ihn wiederhole.

 

Gut, auch diesen Tatbestand kann man ernsthaft in Frage stellen, denn wir lernen unweigerlich, ob wir nun wollen oder nicht. So gesehen ist auch hier die Freiheit mehr beschnitten, als wir vielleicht denken würden. Es kommt also mehr auf das Ausmaß des Fehlers an.

 

Es gibt Dinge, vor denen wir die Augen ziemlich lange verschließen können, da wir hier zumindest scheinbar den größten Spielraum von Freiheit haben. Man muss sich nur mal unsere Gesellschaft genauer betrachten und kann auf den Schluss kommen, dass unser Drang zur Freiheit deutlich größer ist, als es auf den ersten Blick scheinen würde. Denn genau bei den Menschen, die aus Sicht eines bewussteren Menschen unfrei wirken, wirkt im Grunde die Freiheit am stärksten.

 

Weil die Wahlfreiheit eben nicht darin liegt, ob man rechts, links, oben oder unten wählt, sondern darin, die Konsequenzen zu kennen oder nicht. Es ist also genau genommen genau andersherum, als wir normalerweise denken würden. Die Freiheit steigt nicht mit dem Bewusstsein des Menschen, sondern mit der Dummheit.

 

Klar, ganz so einfach ist es dann auch wieder nicht – aber deshalb macht es das Ganze ja so paradox. Denn es stimmt – und stimmt auch zugleich nicht. Je dümmer der Mensch, desto unbewusster ist seine Wahlmöglichkeit, und umso weniger Freiheit hat er. Andererseits: Je bewusster der Mensch wird, desto bewusster kann er wählen, aber umso weniger kann er aus seiner Verantwortung heraus frei einfach die schlechtere Wahl treffen – da das ja sonst wieder gegen das Bewusstsein sprechen würde.

 

Man kann es also drehen, wie man will: Der freie Wille ist deutlich weniger frei, als man glauben könnte – und doch scheint er unbestreitbar vorhanden zu sein.

 

Vielleicht liegt also die Lösung des paradoxen Rätsels wirklich darin, dass nicht der freie Wille Gottes ehernes Gesetz ist, sondern die Lernfähigkeit und Entwicklung. Der freie Wille ist quasi nur ein Nebenprodukt dessen, um die Entwicklung überhaupt möglich zu machen.

 

Wie sagte es die Figur Cypher aus Matrix so schön, die seine Freunde verriet, um wieder in die Matrix eingespeist zu werden:

Unwissenheit ist ein Segen.

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